Charme einer Betonstadt … Le Havre

Als unregistrierter Nutzer ist Dein Zugriff eingeschränkt. Bitte melde dich an oder registriere dich einfach mit ein paar Klicks hier, um alle Funktionen in vollem Umfang nutzen zu können.
  • Nein, von Charme konnte in Le Havre nicht die Rede sein, aber was will man von einer Ende des 2. Weltkrieges in Schutt und Asche gelegten Stadt erwarten?! Aber schließlich hat die Normandie noch mehr zu bieten als Le Havre …

    Le Havre, 12. Juni 2012

    Es war wieder früh, nein, sehr früh am Morgen. Der Wecker wurde wieder nicht benötigt und schnell ging es nach ganz oben auf das Deck. Was war das? Englisches Wetter in Frankreich? Nein, schlimmer – nicht nur Dunst sondern auch leichter Regen … also doch englisches Wetter … Trotzdem beobachteten wir das Einlaufen in den Hafen und das Anlegen. Nach dem Frühstück machten wir uns auf eigene Faust per Shuttle-Bus auf in die Innenstadt.
    Das an der Seine-Mündung gelegene Le Havre ist eine für französische Verhältnisse junge Stadt. König Francois I erkannte, dass der auf der anderen Seite der Seine nach und nach versandende Hafen von Honfleur für die Erfordernisse des Überseehandels ersetzt werden musste. So geschah es. 1517 wurde Le Havre gegründet und entwickelte sich nach und nach zu einer Perle des Überseehandels und der Fischerei. Einen kräftigen Aufschwung erhielt die Stadt i.Z.m. dem dampfgetriebenen Überseeverkehr; einen kräftigen Abschwung, als kurz vor Beendigung des 2. Weltkrieges die Alliierten die auch nach der Landung in der Normandie noch von den deutschen Truppen besetzte Stadt intensiv bombardierten und die deutschen Soldaten beim späteren Abzug nach dem Prinzip der verbrannten Erde vorgingen. 80 % der Stadt und der allergrößte Teil der Hafenanlagen wurden zerstört. Nun schlug die große Stunde des Architekten Auguste Perret, der für das Wiederaufbaukonzept verantwortlich war. Er war Anhänger der klaren Gliederung und des Beton-Stils.
    Wir sahen es und verstanden und verstehen es auch heute nicht, dass Le Havre als Weltkulturerbe der UNESCO gilt. Entsprechend kurz war die Stadtbesichtigung. Bei leichtem Regen (Wozu sind Wettervorhersagen eigentlich gut?) verließen wir den Bus kurz vor dem Rathaus. Stil von Monsieur Perret. Nicht unbedingt schön, aber gewaltig mit seinem 72 m hohen Turm. Ganz nett war der vor dem Rathaus liegende Place de l´Hôtel de Ville. Wasserspiele, Rasenflächen und die vier Bs (Betonsteine, Bäume, Blumen und Bauarbeiten). Man tut einiges, um die Stadt aufzuwerten. Auf dem Weg zur Kirche Saint-Joseph stießen wir durch Zufall auf die Markthalle. Fleisch, Fisch, Obst, Gemüse, Käse, Wein waren sauber drapiert. Die Stände hatten aber nicht den ein wenig angehauchten Charme spanischer Markthallen. Sie wirkten steril, aber im Lebensmittelbereich kann das vorteilhaft sein!
    So, nun war die Kirche Saint Joseph an der Reihe. Von außen nicht gerade eine Schönheit aus 700 t Stahl und 50.000 t Beton. Die Außenhöhe des Turms beträgt 107 m. Die Kirchenfenster aus 12.768 Gläsern machen eine Fläche von 378 qm aus. Die Basis der Kirche ist quadratisch in Form eines griechischen Kreuzes angelegt. Wenn man das Gotteshaus betritt, verschlägt es einem die Sprache. Schlicht und einfach. Keine gefärbten Wände. Nur zwei schlichte Skulpturen der Jungfrau Maria und des Heiligen Joseph.Der Altarbereich im Zentrum. Und dann das Licht, das – trotz des regnerischen Wetters – durch die farbig abgestuften Fenster der Kirchen- und Turmwände die ansonsten schlichte Ausstattung regelrecht belebt. Im unteren Bereich dominieren dunklere Farben, die bis zur Spitze immer heller werden. Außerdem fallen – je nach Himmelsrichtung – verschiedene Farbtöne auf. Die Glasarbeit ist ein Werk der Glaskünstlerin Marguerite Huré. In der Planungsphase sagte Monsieur Perret zum seinerzeitigen Pfarrer der Notkirche: „Sie möchten, dass Ihre Kirche schön wird. Sie möchten auch, dass sie ein freundlicher Ort wird. Dann müssen wir eine Frau mit der Ausführung der Kirchenfenster beauftragen.“ So geschah es und es wirkt wie ein Lichtblick, an dem man einfach nicht vorbei gehen darf … und in diesem Fall kann man doch den Charme des Betons erkennen!
    Weiter ging es zur Kathedrale Notre Dame. Sie ist eins der wenigen alten Gebäude, das wir in Le Havre gesehen hatten. Der Turm aus 1540 ist der älteste Teil; die jetzige Kirche wurde i.W. zwischen 1575 und 1610 gebaut. Sie vereinigt Gotik- und Renaissanceelemente. Im September 1944 wurde sie durch Bomben schwer beschädigt, aber bis zur Wiedereinweihung 1974 wieder originalgetreu restauriert. Die Orgel ist übrigens ein von Kardinal Richelieu 1637 überreichtes Geschenk. Das Innere der Kathedrale überzeugt durch relative Schlichtheit.
    Es war Zeit, mit dem Shuttle-Bus wieder zurück zur AIDAcara zu fahren. Vorbei am Bassin du Commerce, der alten entkernten Dockanlage mit Geschäften vor allen Dingen sehr bekannter Textilhändler, erreichten wir unser Schiff.
    Nach einer kleinen Stärkung verließen wir es wieder zu unserer Tour „Honfleur & Deauville“. Es dauerte ein wenig länger bis wir den riesigen Hafenbezirk verlassen hatten. Schließlich hat Le Havre den größten Container- und Außenhandelshafen Frankreichs mit weiterem Ausbaupotential; außerdem ist er der fünftgrößte Hafen Europas. Schon von weitem sahen wir sie – die in den Jahren 1988 bis 1994 erbaute Pont de Normandie, die mit einer Spannweite von 856 m die größte Schrägseilbrücke Europas ist (Länge der Brücke 2.141 m) und bis 1999 sogar den ersten Platz auf der Welt hielt; die Pylone sind 215 m hoch … Bei schönem Wetter hätten wir vom höchsten Punkt aus einen prima Blick auf die Seinemündung und in den Ärmelkanal sowie auf der anderen Seite in das Seinetal werfen können – aber leider nicht an diesem Tag …
    Während der Fahrt informierte uns Irene, unsere Reiseleiterin, in deutscher Sprache eingehend über sämtliche Facetten der Normandie. Unser Busfahrer Guy war ein Profi, so, wie er die ab und zu engen und kurvenreichen Straßen bewältigte. Er fuhr uns durch die Heckenlandschaft, die uns faszinierte. Weiden waren aus Windschutzgründen von grünen Hecken eingefasst- ein fesselnder Anblick dieser – zugegebenermaßen eher einfarbigen – Mosaiklandschaft. Und auf machen Grundstücken standen schnuckelige mit Ried gedeckte Häuser – romantisch und traumhaft!
    Schließlich erreichten wir Honfleur, die Stadt mit Flair an der Côte Fleurie.
    Das Wortteil fleur bedeutet in etwa „flache Stelle“. Normannen siedelten sich hier früh an und der Ort lebte zunächst einfach vor sich hin. Erst im 13. Jahrhundert taucht er wieder in geschichtlichen Quellen als kleiner Hafen auf. In der Folgezeit wurde Honfleur ´mal von den Engländern, ´mal von den Franzosen besetzt bis die Stadt zum Ende des Hundertjährigen Krieges endgültig französisch wurde. Aus den Salzmarschen wurde Salz gewonnen und damit – sowie mit Schiffsbau und Fischerei – kam für eine sehr lange Zeit der wirtschaftliche Aufschwung. Erst die positive Entwicklung des nahe gelegenen Le Havre führte zum Niedergang. Doch dafür hat sich das alte Flair Honfleurs mit seiner pittoresken Altstadt erhalten und profitiert nunmehr stark von Touristen, die in den Sommermonaten zu Zehntausenden die Stadt mit ca. 8.000 Einwohnern überfallen.
    Unser Bus hielt in der Nähe des alten Hafenbeckens. Irene führte uns direkt in die Altstadt. Enge Gassen, jede Menge Stein- und Holzhäuser, die unterschiedlich waren und trotzdem harmonierten. Daneben noch Fachwerk- und Schindelhäuser, wie man sie selten sieht. In den alten Gassen gingen wir vorsichtig – es regnete leicht – über das Kopfsteinpflaster. Besonders beeindruckend war in der Rue de la Prison das alte Gefängnis, in dem heute das Volkskundemuseum untergebracht ist.
    Unser nächstes Ziel war das alte Hafenbecken, das Vieux Bassin. Es ist rechteckig; zweimal am Tag haben die Schiffe bei Flut die Möglichkeit, nach Öffnung der Hebebrücke ein- bzw. auszufahren. An drei Seiten befinden sich eher schmale Häuser, die wunderbar gepflegt sind. Vor ihnen grenzt ein Terrassenrestaurant an das nächste und wartet auf die Hauptsaison. Logisch, dass dann in dieser Stadt der Bär los ist! Allein den Anblick dieser alten Häuser und der Fischerboote zu genießen – das hat etwas …
    Irene informierte uns über eine Besonderheit der am Vieux Bassin liegenden Häuser: Als Wohnraum in Honfleur knapp wurde, legte man parallel zum Kai eine Straße an. Zwischen den an den Kai grenzenden Häusern und der Straße wurden zusätzliche Häuser an die Rückwand der schon stehenden Häuser errichtet – es gab also jeweils nur an einer Hausseite Fenster. Im Laufe der Zeit wurde das Wohnangebot erneut knapp. Die hinteren Häuser wurden aufgestockt und gleichzeitig teilweise auf Dächer der am Kai stehenden Häuser erweitert. Ergo: Es gab für viele der direkt am Kai liegenden Häuser zwei Haustüren – einer am Kai und einer an der Parallelstraße …
    In dem Gebäude am Schleuseneingang – der Lieutenance – war in früheren Jahren der Statthalter des Königs untergebracht. Er ist der letzte erhaltene Teil der alten Stadtbefestigung.
    Stadteinwärts liegt direkt neben der Lieutenance das Porte de Caen, ein altes Stadttor mit einem Relief des Gründers Quebecs, Samuel de Champlain. Wir gingen durch das Tor und kamen in eine enge Straße mit wieder alten Häusern, in denen Lokale und Geschäfte untergebracht sind. Viel Zeit zum Bewundern dieser ansehnlichen Häuser blieb nicht; wir bogen links ab und standen auf einmal auf dem Place Ste. Cathérine. Dort steht die Église Ste. Cathérine, die größte Holzkirche Frankreichs. Kein Wunder, dass das Material Holz gewählt wurde. Denn sie wurde im Seemannsviertel auf den Grundmauern einer im Hundertjährigen Krieg von den Engländern dem Erdboden gleichgemachten Kirche errichtet. Nach der Zerstörung beschloss man den schnellen Wiederaufbau, der allerdings aus Geldmangel und mangels Erfahrung mit Steinbauten aus Holz erfolgte. Handwerker waren i.W. Schiffszimmerleute, die zunächst das Gotteshaus einschiffig errichteten. Ja, einschiffig, denn es wurde überliefert, dass die Zimmerleute ein großes Schiff bauten, es umdrehten und als Dach nutzten. Als die Kirche zu klein wurde, baute man ein weiteres „Schiff“ an. In den Folgejahren gab es einige Erweiterungen und Änderungen. So wurden im Innenraum um 1830 Balken und Holzpfeiler mit Gips abgedeckt, allerdings um die Wende des 19./20. Jahrhunderts in den Urzustand versetzt. Die Kirche hat einen separaten Glockenturm, in dem ein Museum für religiöse Kunst untergebracht ist.
    Dann „entließ“ uns Irene. Wir hatten noch ein wenig „Freizeit“, bummelten am Vieux Bassin vorbei und genossen nochmals die Häuser der Altstadt, nun aber ohne Touristenscharen rund um uns. Mit diesem Anblick nahmen wir Abschied von Honfleur, einem Ort, der immer einen Besuch wert ist! Kein Wunder, dass sich in der Vergangenheit viele namhafte Künstler wie Courbet, Sisley, Claude Monet, Pissaro, Renoir und Cézanne in Honfleur ausgetauscht hatten. Auch heute noch gilt die Stadt als Künstlertreff.
    Weiter ging´s mit dem Bus Richtung Deauville. Leider auch mit dem Regen, der sich anstrengte, uns noch mehr zu segnen (Nochmals: Welchen Wetterprognosen kann man noch trauen???). Um uns herum wieder viel Grün, von Hecken umschlossene Weiden (es waren selten Tiere auf den Wiesen zu sehen – waren die normannischen Vierbeiner wasserscheu???), mehr oder weniger große Häuser und dann vermehrten sich die Bauten – wir näherten uns dem Seebad Trouville mit seinem riesigen Kasino. Unmerklich ging Trouville in Deauville über, nur durch den Fluss Touques getrennt. Deauville hat sich zu einem mondänen Seebad gemausert. Jede Menge Villen aus der Gründerzeit – eher groß als klein – wurden an der nicht weit vom Strand entfernten Straße drapiert.
    Dazwischen stehen einige neuere Appartementhäuser mit einem herrlichen Ausblick auf Strand und Meer. Wer das nötige Kleingeld hat, kann sich hier einkaufen: In erster Lage zahlt man kleine € 8.000,--/qm … Adäquate Preise findet man auch in Bars und Restaurants. Eine Bar in einer Nebenstraße verlangt € 15,-- für eine Flasche bekannten niederländischen Allerweltbiers; 0,04 l Whiskey/Allerweltsmarke kosten € 25,-- … Kein Wunder, schließlich gilt Deauville mit Yachthafen, Pferderennbahnen, Kasino, eleganten Villen, Strandpromenade und extrem breiten Sandstrand als eins der elegantesten normannischen Seebäder. Und das muss eben bezahlt werden. Aber nicht von uns – wir waren nur Gaffer …
    Deauville ist so elegant, dass sich in diesem 4.000 – Seelen – Ort eine Zweigniederlassung des nicht gerade minderpreisigen Kaufhauses Au Printemps befindet.
    Deauville ist so elegant, dass das 1864 eröffnete Kasino das drittwichtigste Frankreichs und eins der bedeutendsten in Europa ist.
    Deauville ist so mondän, dass im Jahre 1912 das Hotel „Le Normandy Barrière“ errichtet wurde, das sich seinerzeit aufgrund des Gesamtangebotes zu einem der besten Luxushotels Frankreichs entwickelte. Auch aktuell zählt das 4-Sterne-Luxushotel (höchstmöglichste Hotelkategorie in Frankreich) zu den renommiertesten des Landes.
    Deauville ist so elegant, dass hier im Mai 2011 der 36. G8-Gipfel stattfand.
    Doch zurück zum Strand – er zieht sich sehr weit hin und ist – wie erwähnt – für uns ungewohnt breit. Und ein Muschelparadies: riesige Felder leerer Muschelschalen.
    Und gerade hier konnte ein Markenzeichen Deauvilles nicht übersehen werden: die in 1943 angelegte hölzerne Strandpromenade „Les Planches“. Sie ist stolze 643 m lang und landeinwärts von Strandkabinen begrenzt. Jede Kabine ist mit Namen von Hollywoodschauspielern und –regisseuren bezeichnet als Hommage an die Besucher des jährlich stattfindenden Festivals des amerikanischen Films.
    Wenn nur der sich immer weiter verstärkende Regen nicht gewesen wäre …
    So schlenderten wir noch ein wenig durch die Seitenstraßen, schauten in die Schaufenster, in denen die Auslagen aus gutem Grunde preislos waren, und erfreuten uns am Anblick vieler wunderschöner alter Häuser.
    Dann war es Zeit – der Bus wartete schräg gegenüber vom Kasino. Aufgrund des Regens waren alle pünktlich an Bord. Guy fuhr z.T. eine andere Strecke zurück zum Schiff. So sahen wir ein wenig mehr von der verregneten Normandie.
    Recht kurz nach der Ankunft im Hafen legte die AIDAcara ab und schob sich vom Regen begleitet in den Ärmelkanal. Dem inzwischen verlassenen Tagesziel folgend überboten sich die Köche mit dem Tagesthema „Frankreich“ im Marktrestaurant – ein kulinarischer Höhepunkt dieser Kreuzfahrt. Das Calypso mit dem Themenbereich „Karibische Inselwelt“ ließen wir entsprechend links liegen, auch wenn wir sicher nicht enttäuscht worden wären! Und dann ging es recht zeitig in die Koje, denn Rosamunde bereitete sich schon auf uns vor.
    ZumAusflug „Honfleur und Deauville“: er ist sehr empfehlenswert – bei gutem Wetter wäre er ein Höhepunkt der Gesamttour gewesen.
    Und beim nächsten Ziel warteten blauer Himmel und Sonne auf uns!